Casanova ist heutzutage ein Synonym für “Verführer” und gewissermaßen der Inbegriff des schlitzohrigen Macho-Italieners. Dass Casanova auch Schriftsteller, Musiker, Gefängnisausbrecher, Spion und Priesteranwärter war und zudem Kontakte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts pflegte, ist meist nicht Teil des Casanova-Klischees.
Giacomo Girolamo Casanova wurde 1725 in Venedig geboren. Er war Sohn zweier Schauspieler, von denen zumindest die Mutter sehr erfolgreich war, weshalb Casanova sich um Geld wenig Sorgen machen musste – in seiner Jugend wegen seines Elternhauses, später wegen seiner vielseitigen Talente und der Tatsache, dass er immer wieder Gönner und Förderer fand, die für seinen Lebensunterhalt sorgten.
Im Alter von 18 Jahren landete er das erste Mal im Gefängnis: Nach seiner Rückkehr von seinem Jura-Studium in Padua und anschließenden Reisen wurde er in Venedig in der Festung Sant’Andrea eingesperrt. Offizieller Grund waren Erbstreitigkeiten. Wahrscheinlich sollte die Verhaftung aber eher eine Warnung sein, seinen damals schon recht unkonventionellen Lebensstil zu überdenken. Gebracht hat es offenbar nichts: Es folgten noch zwei weitere Gefängnisaufenthalte.
Als Priester betrunken auf der Kanzel
Wieder frei, wurde er von seiner Mutter nach Kalabrien geschickt, um dort eine Priesterlaufbahn einzuschlagen. Dort hielt es ihn wegen der allzu ärmlichen Verhältnisse aber nicht lang. Mustergültig verhielt er sich sowieso nicht: Einmal fiel er während einer Predigt betrunken von der Kanzel. Nach Beendigung seiner Priesterkarriere trat er in den Dienst des Spanischen Botschafters Kardinal Acquaviva. Wieder wurde ihm sein exaltiertes Verhalten zum Verhängnis: Er hatte ein von zu Hause geflohenes Mädchen in den offiziellen Gemächern des Kardinals versteckt. Vertrieben und zurückgekehrt nach Venedig verdiente er sich eine Weile seinen Lebensunterhalt als Geiger am Teatro di San Samuele.
1750 wurde Casanova Freimaurer – allerdings weniger aus ideologischen Gründen, sondern vielmehr, um für ihn nützliche Kontakte zu knüpfen – was ihm auch gelang: Unter anderem schloss er Bekanntschaft mit Wolfgang Amadeus Mozart und Benjamin Franklin. Um 1750 zog er nach Paris. Dort lernte er Französisch, das von nun an die Sprache seiner literarischen Werke werden sollte.
Seine Memoiren: zwischen Realität und Fiktion
Seine Autobiografie “Histoire de ma vie” gilt bis heute als wichtiges Zeitzeugnis und schildert auf lebendige Weise das Alltagsleben des 18. Jahrhunderts – sowohl das der bedeutendsten Königshöfe Europas als auch das des “einfachen Volkes”. Wie viel von Casanovas Memoiren Wahrheit und wie viel Fiktion ist, können selbst Forscher nicht mit Sicherheit sagen. Vieles ist durch andere Dokumente belegt, einiges hat der Autor wahrscheinlich stark verklärt – was aber den Unterhaltungswert der “Histoire” umso mehr steigert. Das gilt auch für die Beschreibung von Casanovas Liebschaften, für die das Buch und schließlich der Autor bekannt geworden sind: Die Namen der Frauen werden zwar nicht explizit genannt (meist verwendete Casanova Initialen oder Fantasienamen), und bei einigen hat er das Alter etwas nach unten korrigiert. In den meisten Fällen handelt es sich aber um historisch belegbare Personen. Unter ihnen waren übrigens sowohl Adelige als auch Sklavinnen.
Als Casanova 1755 von Paris erneut nach Venedig zurückkehrte, wurde er verhaftet und für knapp eineinhalb Jahre in die Bleikammern gesteckt, eines der Gefängnisse im venezianischen Dogenpalast. Wie zu dieser Zeit üblich, wurde dem Gefangenen weder gesagt, warum noch wie lang er im Gefängis sitzt. Über die Gründe seiner Verhaftung kann man daher nur spekulieren: Vermutlich haben Spione der Inquisition über seinen blasphemischen Lebenswandel berichtet, unter anderem über Liebschaften zu verheirateten Frauen, seine Freimaurerei und seine offen geäußerten Kritik an der Kirche.
Flucht aus dem Gefängnis
Aufsehen erregender als seiner Verhaftung war allerdings Casanovas Flucht aus dem Gefängnis: Irgendwie schaffte er es, von seiner Zelle aufs Dach des Gefängnisses zu gelangen, von wo er an anderer Stelle wieder ins Innere des Dogenpalastes kletterte. Dort lief er in den Zimmern herum, wo er entdeckt, für einen Besucher gehalten und schließlich höflich nach draußen begleitet wurde.
Das Buch “Historia della mia fuga dai Piombi”, das er über seinen Gefängnisaufenthalt schreibt, wurde sein erster literarischer Erfolg und noch zu seinen Lebzeiten ins Deutsche übersetzt. Wie auch in seiner “Histoire” zeigt sich hier Casanovas Erzähltalent – eine Fähigkeit, die ihm neben literarischem Erfolg vor allem Zugang zu Königs- und Adelsgesellschaften bescherte beinahe überall, wohin er reiste. Da Casanova dank seiner Bildung, seiner Reisen und damit seiner reichen Lebenserfahrung in jeder Konversation glänzte, war er in den höchsten Kreisen gerne gesehen.
Miterfinder der Nationallotterie
Nach seiner Flucht aus den Bleikammern kam er nach Aufenthalten in Bozen, München und Straßburg wieder nach Paris, wo ein alter Freund von ihm inzwischen Minister geworden war und es Casanova daher an Beziehungen nicht fehlte. In Paris begründete er eine Nationallotterie und war damit Miterfinder einer bis heute üblichen Praktik, die Bürger an der Aufbesserung der Staatsfinanzen zu beteiligen. 1759 landete er das dritte Mal im Gefängnis, weil er nach einer riskanten Investition in eine Textilfabrik hohe Schulden gemacht hatte. Glücklicherweise schenkten ihm seine Beziehungen (eine reiche und einflussreiche Geliebte) die Freiheit wieder.
Die darauf folgenden Jahre führten ihn durch halb Europa, unter anderem in die Schweiz, wo er Voltaire kennenlernte und Rom, wo er von Papst Clemens XIII emfangen wurde. In Berlin wurde ihm von Friedrich dem Großen eine Stelle in der Kadettenschule angeboten, die Casanova aber verächtlich ablehnte und lieber versuchte, in Moskau Fuß zu fassen. Auch dort hatte er es nicht schwer, mit den höchsten Mitgliedern des Hofes in Kontakt zu kommen, unter anderem mit Katharina der Großen.
Vom Bespitzelten zum Spitzel
1774 kehrte er schließlich nach Venedig zurück – und trat in die Dienste der Inquisition: Jahrelang selbst ein Beobachteter und Verfolgter wird er nun zum Spion. Da er naheliegenderweise seinen Beruf nicht mit voller Motivation ausübte, verlor er diesen Posten aber wieder.
Ohne finanzielle Mittel entschloss er sich nun, von der Schriftstellerei zu leben. 1775 veröffentlichte er seine Übersetzung von Homers “Ilias”. Die Liste der Finanzierer dieses Werks ist lang und enthält die wichtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten Venedigs – und zeigt damit, dass Casanova trotz seines eigentlich verfehlten Lebenswandels alles andere als ein Außenseiter in der venezianischen Gesellschaft geworden war.
Leider wurde ihm wenige Jahre später sein stürmischer Charakter doch noch zum Verhängnis: Nach einem Streit mit einem Adeligen rächte er sich mit der Veröffentlichung einer Schmähschrift und bugsierte sich somit in der Gesellschaft seiner Unterstützer ins Aus. Er wurde gezwungen, ins Exil zu gehen und verließ Venedig für immer. Es verschlug es ihn nach Böhmen, wo er als Bibliothekar arbeitete. Dort verbrachte er bis zu seinem Tod 1798 die letzten Jahre seines Lebens als unverstandener alter Mann: Unter dem Eindruck der französischen Revolution und dem Untergang der Republik Venedig galt er nur noch als Relikt einer vergangenen Epoche.