Die Camorra ist die wichtigste kriminelle Organisation in Europa. Sie ist bestens in der Bevölkerung verankert, vor allem aber in den untersten und damit ärmsten Schichten. Auf jeden sizilianischen Mafioso kommen zwei kampanische Camorristen, auf jedes Mitglied der ‘Ndrangheta sogar acht: das Drei-, ja Vierfache der anderen Organisationen. Da der Mafia mit ihren Bomben nach wie vor eine geradezu obsessive Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind die Medien so weit abgelenkt, dass die Camorra praktisch unbekannt bleibt.

Organisation

Das Wort „Camorra“ existiert als solches überhaupt nicht. Es handelt sich vielmehr um einen Polizeibegriff, der von Beamten, Journalisten und Drehbuchautoren verwendet wird. Ein Wort, das die Involvierten selbst übrigens zum Lachen bringt. Die Mitglieder eines Clans benutzen zu dessen Charakterisierung eher den Begriff „System“ („Ich gehöre zum System von Secondigliano“) – ein sehr sprechender Ausdruck, der vielmehr einen Mechanismus denn eine Struktur umschreibt. Denn die kriminelle Organisation ruht direkt auf der Wirtschaft, und die geschäftliche Dialektik ist das Knochengerüst eines Clans. Nach den Aussagen eines Kronzeugen während der Ermittlungen der Antimafia-Einheit im Jahr 2004 werden etwa 50 Prozent der Geschäfte allein in Neapel aus dem Hintergrund von der Camorra gesteuert.

„Familie“ nennt die Camorra einen mit verbrecherischen Absichten gegründeten Clan, in dem die absolute Treue Gesetz ist, eigenständige Entscheidungen ausgeschlossen sind und nicht nur Verrat, sondern auch die Rückkehr zu ehrenhaftem Verhalten als todeswürdiges Vergehen angesehen wird. Die Camorra versucht mit allen Mitteln, dieses Modell einer „Familie“ zu verbreiten und zu etablieren; sie bedient sich dazu sogar der kirchlichen Sakramente. Für einen Christen, der dem Wort Gottes folgt, ist jedoch die Familie nichts anderes als eine in Liebe geeinte Gemeinschaft von Menschen, die in selbstlosem und fürsorglichem Dienst füreinander eintreten, einem Dienst, der den Gebenden und den Empfangenden adelt. Die Camorra beansprucht eine eigene Religiosität, und bisweilen gelingt es ihr sogar, nicht nur die Gläubigen, sondern auch ahnungslose oder arglose Seelenhirten zu täuschen.

Auch die Frauen beginnen in Sachen zahlreicher Verhaftungen und Mordanschläge eine zunehmend wichtigere Rolle zu spielen.

Tätigkeitsbereiche

  1. Erpressung: Die Camorra erhält Gelder von der Mehrzahl der Unternehmen aus der Region über eine Art Steuer, die „pizzo“ genannt wird.
  2. Prostitution
  3. Kontrolle unterschiedlichster legaler Aktivitäten wie Blumen- und Fleischhandel
  4. Müllabfuhr
  5. Spielhallen und Discotheken
  6. Schmuggel aller Art: gestohlene und gefälschte Waren
  7. Der Zigarettenhandel hat seit den jüngst gestiegenen Tabakpreisen wieder zugenommen.
  8. Drogenhandel aus dem Maghreb, der Türkei (Heroin, Opium) und Südamerika (Kokain): Er bringt der Camorra bis zu 500.000 Dollar pro Tag ein.
  9. Betrug: Wie alle italienischen Mafias zweckentfremdet die Camorra europäische Subventionen, die für den Wiederaufbau auf dem Land bestimmt sind. Nach dem Erdbeben von 1980 hat die Camorra das mit Millionen von Euro getan, die von der Europäischen Union für neue Wohnungen und Häuser gedacht waren.
  10. Öffentliche Angebote von Bauplätzen
  11. Giftmüllmanagement: Das hat zur Vergiftung zahlreicher bäuerlicher Gebiete geführt und gleichzeitig die Anzahl der Krebserkrankungen in die Höhe schnellen lassen.
  12. Auf ein Mitglied der ‘Ndrangheta kommen fünf Camorristi.

Übersicht Mafiasysteme in Italien

Foto © 2009 Prokino.